Nečtiny 2006

Spurensuche 2006

Verschwundene Ortschaften

Wie bei der letzten Spurensuche war das Programm voll bis sehr voll. Angefangen haben wir mit einem Vortrag vom Antikomplexer Petr Mikšíček, der uns das Beste aus seinem Buch über das Erzgebirge näher gebracht hat. Weiter ging es in die umliegenden nicht mehr existierenden Ortschaften Ryžovna/Seifen, Háje/Zwittermühl und Má­lov/Halbmeile. In den nächsten Tagen waren es dann mit Jelená­/Hirschenstand, Chaloupky/Neuhaus und Rolava/Sauersack noch manche andere. In jedem Dorf konnten wir alte Fotografien mit dem heutigen Stand vergleichen, wir sind in halbwegs verschüttete Keller gekrochen und über die alten Fundamente gestolpert. Wir haben uns über die einstige Häuseranzahl gestritten, haben die Stellen gesucht, von denen die alten Fotos aufgenommen wurden und konnten in den stark morastigen Wiesen selber testen, was es konkret heißt, wenn die Berglandschaft nicht mehr gepflegt wird. Und viel Nostalgie war in den verlassenen Tälern oft mit dabei.

Schweres DDR-Erbe

Im Vergleich zum letzten Jahr sind wir wesentlich mehr nach Deutschland gefahren. Es hat sich angeboten, denn dort ist noch das alte Erzgebirge erhalten geblieben, so wie es mal auch auf der böhmischen Seite der Grenze aussah. Der Fichtelberg, der höchste Berg der damaligen DDR, der Kurort Oberwiesenthal und Johanngeorgenstadt waren die wichtigsten Ziele, wo wir auch intensiv den Spuren von vergangenen Zeiten bis in die Gegenwart gefolgt sind. Auf den ersten Blick sieht das deutsche Erzgebirge wesentlich schöner als das Böhmische aus: die Häuser sind alle renoviert, die Strassen sind gut, die Wiesen werden gemäht. Doch als wir in Gesprächen die dortige Realität näher betrachteten, sahen wir die Schrumpfung der Einwohnerzahl bis auf die Hälfte des Standes vor 1989, 30% Arbeitslosigkeit und geschlossene Schulen in Gemeinden mit 3 000 Einwohnern. Das sächsische Erzgebirge hat es aber nicht nur durch die deutsche Wiedervereinigung schwer. Es hat auch viel an der Last der Vergangenheit mitzuschleppen: so wurde z.B. in Johanngeorgenstadt, dem Zentrum des Uranabbaus, die historische Altstadt mit einer absurden Begründung abgerissen. Darüber haben wir mit Herrn Wendl in Johanngeorgenstadt sprechen können, der diese Last der Geschichte verkörpert. Er saß aus politischen Gründen im DDR-Gefängnis, nun hat er aber als einer der wenigen die Ex-DDR nicht verlassen und sucht für Johanngeorgenstadt nach einer besseren Zukunft. Auch wenn er selber zugibt, es gibt in der Tat keine richtig große Zukunftsperspektive.

Besuch des Uranbergwerks

Auch auf der tschechischen Seite haben wir eindrucksvolle Gespräche geführt. Am meisten konnten wir wohl dem Treffen mit Jan Horník, dem Senator und langjährigen Bürgermeister von Boží­ Dar/Gottesgab, entnehmen. Als erfolgreicher Visionär schilderte er uns vor allem die tief verwurzelten Probleme der Erzgebirgs-Region. Wohl genauso sind uns im Gedächtnis die besuchten Schattenseiten vom Erzgebirge geblieben. St. Joachimsthal mit seiner abwechslungsreichen Geschichte des Silber- und Uranabbaus. Vom Weltruhm des Silberabbaus und des auf den Wirkungen des radioaktiven Radonwassers gegründeten Heilbades, bis zu den Schrecken der 50er Jahre, in denen Tausende politische Häftlinge unter brutalen Bedingungen in Uranbergwerken arbeiten mussten, damit der unendliche Hunger der Sowjets nach Atomwaffe befriedigt werden konnte. Am tiefsten ins Gedächtnis hat sich aber der Besuch in der Uran-Mine Svornost/Eintracht eingeprägt. Dank unserer Freunde kamen wir dort rein, obwohl es normalerweise verboten, weil gefährlich, ist -  umso reizvoller war das! Zu den Schattenseiten zählte auch der Besuch von Schloß Jezeří­/Eisenberg. Zum einen wegen dem ruinösen Zustand der früher ruhmreichen Sehenswürdigkeit, zum anderen wegen der Aussicht auf den Großtagebau unter dem Erzgebirgskamm. Dort wurde die Braunkohle gegraben, die durch die Kamine der Kohlenkraftwerke in die Luft kam und die Wälder in halb Tschechien zu Tode erstickte, in aller ersten Linie die Wälder des Erzgebirges.

Höhepunkt: Heilige Messe mit Anton Otte

Als den Höhepunkt kann ich wohl kaum etwas anderes als die heilige Messe bezeichnen. Ja, selbst der tschechische Atheist hält die Messe mit Anton Otte für den wahren Gipfel der diesjährigen Spurensuche. Geplant war sie für den Platz der ehemaligen Kirche in Ryžovna/Seifen, aber des Regen wegen haben wir uns entschieden, um Zugang zur Kirche in Boží Dar/Gottesgab zu bitten. Auf dem Weg zur Kirche gab das erzgebrigische Wetter doch noch sein Bestes: zum Abschied gab es goldenes Abendlicht, das nur nach heftigen Wolkenbruch kommt, und einen Regenbogen als Bonus dazu. In der Kirche werden keine regelmäßigen Gottesdienste mehr gehalten, wie überrascht mussten also die Gottesgaber gewesen sein, als an einem Samstagabend plötzlich die Kirchenglocke in einem etwas unsicheren Rhythmus die Gläubigen des weiten Erzgebirgskammes zum Gottesdienst gerufen hat. Im Kreis, eng um den Altartisch versammelt, ließen wir uns von Anton Ottes Charisma ansprechen. Der typische Banana-Gesang machte auch seinen Teil der Liturgie aus und Erinnerungen an die eben zu Ende gehenden Spurensuchetage machten dann den Rest. Wie gesagt, selbst die Gottlosen wurden angetan.

Auf ein Neues 2007?

Es gäbe eigentlich noch viel mehr zu erzählen und darunter vielleicht auch manch Negatives. Doch dafür gibt es nun leider keinen Platz mehr. Wenn ihr auch davon etwas erfahren wollt, müsst ihr einfach beim nächsten Mal, falls es so eins geben wird, mitfahren.

Ondřej Matějka, Antikomplex